Ich sehe gern genau hin, wenn ich an an Gebrauchtem vorbei gehe. An gebrauchten Dingen und vom Leben gezeichneten Menschen. Nicht weil ich sparen will oder gaffen, sondern weil jede Wunde Geschichten erzählt, denen ich gern zuhöre, und weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass Zuhören heilt. Ein Beispiel? Schaut mal.
Was seht Ihr?
Völlig vertrocknet. Ausgedörrt. Verblüht.
Aber auch am Ende? Und selbst wenn es das Ende wäre, wäre dann nicht ein Abschied in Würde möglich? Ich stehe vor dem schäbigen Regal mit den kranken Pflanzen und nehme diejenige mit, die mich anspricht. Diese hat mich angesprochen. Vor Wochen war sie noch knallgelb auf dem ersten Präsentiertisch, vom Handel beauftragt Sonnenhungrigen wie mir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Leeres Versprechen!
Ich habe gewartet. Und bin wieder hingegangen. Nicht zum ersten Präsentiertisch, da standen längst andere, sondern zur Resterampe. Da stand sie nuen. Für mich hat diese Pflanze gerade wegen ihres Verblühens an Wert gewonnen. Nicht weil ich sparen wollte. Nicht weil ich knausrig wäre. Sondern weil eine gelbe Blume meinen Hunger nach Sonne nicht gestillt hätte. Und dass ich eigentlich auch einen ganz anderen Lichtblick suche.
Oft finde ich Erfüllung nicht dann, wenn ich etwas tue, sondern wenn ich etwas nicht tue. Nicht kaufe. Warte. Ich warte auf den richtigen Moment. (Den preist kein Handel an. Der drängt sich nicht auf. Der ist einfach da.)
Am Ende?
Ich nehme Pflanzen wie diese mit nach Hause und setze Kamillentee auf. Ich knipse alle kranken Blätter ab und versuche dabei nicht mehr zu verletzen als notwenig. Zuweilen bleibt fast nichts mehr übrig.
Ich rede ihr gut zu, mal nur in Gedanken, mal hörbar und versuche zu begreifen, was ihr fehlt. Ist die Erde nicht gut? Das ist sie nie. Ich beutle die Wurzeln von der alten Erde frei und bette sie in neue.In meine allerbeste. Behutsam, mit Zeit und Ruhe und Stille.
Ist sie von Schimmel befallen? Ich nehme weg, was erkrankt aussieht und werfe es weg. In den Restmülle. Und bereite die Quarantäne vor. Diese ist im Licht, aber nicht zu hell und nicht zu heiß, an einem ruhigen Ort mit frischer Luft, einem schönen Übertopf und Abstand zu anderen Pflanzen. Sie soll nicht anstecken. Sie soll sich darauf konzentrieren zu gesunden. Sie genießt, dass Kamillentee neue gute Erde an ihre Wurzeln schwemmt und ihr Halt gibt. Kraft.
Bis sie bereit ist für die Fensterbank.
Neuanfang
Manche Pflanzen überstehen diesen Heilungsbeginn nicht. Sie hätten auch ohne mich nicht überlebt. Ich konnte ihnen nicht die Rückkehr ins Leben ermöglichen, aber einen würdigen Abschied.
Viele Pflanzen, die allermeisten, werden gesund. Sie strahlen, leuchten. Und dieser Lichtblick stillt meinen Hunger.
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
Um wen kümmert Ihr Euch?
Viele Grüße aus dem Garten
Maria und das Flammende Käthchen
Ich kümmere mich um meine Mutter. Sie ist 2009 an Demenz erkrankt und seit 4 Jahen bettlägrig. Die meiste Zeit über erkennt sie mich nicht, aber immer wieder – im Abstand von Wochen oder Monaten – gibt es diese winzig-kleine Momente, in denen sie klar bei Verstand ist – ein kurzes Aufblitzen im Vergessen, wie eine Sternschnuppe, die in tiefschwarzer Nacht hell-leuchtend aufglüht und einen Herzschlag später schon wieder verschwunden ist.
…oder wie eine kleine, gelbe Blüte zwischen vertrockneten Blütenständen….
Mit den Augen sieht man viel
doch mit dem Herzen tiefer.
Danke, liebe Ellen, für Deine Fürsorge. Von nun an, wenn ich das flammende Käthchen umsorge, denke ich an Euch beide. Wer hätte gedacht, dass in einer so kleinen Blüte so viel Kraft steckt? So viel Leuchtkraft. Vielleicht machen wir zwei mal zusammen yoga? Es hilft die Energien zu lenken, mit denen uns das Leben zuweilen mehr als voll pumpt. Herzliche Grüße, Maria